Tantalos

  • Autor: Schwab, Gustav

Tantalos, ein Sohn des Zeus [1], herrschte am Berge Sipylos in Kleinasien über ein großes Reich. Er war überaus reich und berühmt.

Wegen seiner Abstammung waren die olympischen Götter [2] dem Tantalos wohl gesonnen, auch wenn er nur ein Sterblicher war. Zuletzt durfte er sogar an der Tafel des Zeus speisen und alles mit anhören, was die unsterblichen Götter unter sich besprachen.

Diese hohe Gunst vermochte Tantalos auf Dauer aber nicht zu tragen, und er fing an, gegen die Götter zu handeln. So verriet er anderen Sterblichen die göttlichen Geheimnisse. Und von der Göttertafel entwendete er Nektar und Ambrosia [3], um den Raub an seine irdischen Genossen zu verteilen.

Tantalos nahm auch einen edlen goldenen Hund an sich, den ein Anderer aus dem Tempel des Zeus zu Kreta gestohlen hatte. Als Zeus den Hund zurückforderte, leugnete Tantalos mit einem Eide, diesen in seinem Besitz zu haben. Nun war das Maß voll. Die Götter stießen ihn in die Hölle, damit er hier seine gerechte Strafe empfange.

Tantalos stand angekettet mitten in einem Teiche, und die Wasser spielten ihm um sein Kinn. Trotz dieser Fülle litt er brennenden Durst und konnte den Trank nicht erreichen. Sooft er auch den Mund zum Wasser streckte, entschwand vor ihm die ganze Flut und dunkler Boden gähnte leer vor seinen Augen.

Damit nicht genug musste Tantalos den ewigen Hunger erleiden. Am Ufer des Teiches strebten aber herrliche Fruchtbäume empor und wölbten ihre Äste bis hin zu seinem Haupte. Wenn er aufsah, lachten ihn saftige Birnen, rotwangige Äpfel und liebliche Feigen an. Doch immer wenn er hinauflangte, um das süße Mahl zu erhaschen, riss ein Sturmwind die Zweige unerreichbar empor.

Zu dieser Höllenpein gesellte sich auch noch die Todesangst, denn ein großes Felsenstück hing mitten über dem Haupte von Tantalos. Unaufhörlich drohte es herabzustürzen, und ihn zu erschlagen. So ward dem einst Geliebten und jetzt Verachteten dreifache Qual zu Teil, die niemals ein Ende finden sollte.

Erklärungen:

[1] Zeus ist der oberste Gott der Griechen, der Vater der Götterfamilie.

[2] Der Olymp ist ein Gebirge in Griechenland, das als Sitz der Götter verehrt wurde.

[3] Ambrosia ist eine Speise, die den Göttern Unsterblichkeit verleiht.