Der Anfang der Geschichte

  • Autor: Autor Unbekannt

Vor langer Zeit lebte in Smarkand ein mächtiger König namens Schahrirar. Er war ein grausamer Mann. Als seine Frau gestorben und in Allahs Reich eingegangen war, langweilte er sich sehr. Darum befahl er seinem Großwesir, er solle ihm jeden Tag ein junges Mädchen in den Palast zu schicken. Dieses Mädchen sollte bei ihm bleiben und ihm die Zeit vertreiben, bis die Sonne aufging. Und dann, wenn es Tag wurde, befahl der König, dem Mädchen den Kopf abzuschlagen. Daran hatte er seinen Spaß.

Der Wesir hatte großes Mitleid mit den Mädchen. Weil er aber Angst vor dem König hatte, führte er die Befehle aus. So tötete der König immer weiter. Die Menschen fürchteten sich vor ihm und beteten zu Allah, er möge diesen Tyrannen vernichten. Die Mütter weinten und die Eltern flüchteten mit ihren Töchtern aus der Stadt. Schließlich gab es in der ganzen Stadt kein einziges junges Mädchen mehr.

Immer wieder befahl der König dem Wesir, ihm ein junges Mädchen zu bringen, doch nach kurzer Zeit konnte der Großwesir in der ganzen Stadt kein einziges mehr finden. Traurig ging er zu sich nach Hause, das Herz voll von Angst und Bitterkeit. Er hatte nämlich selbst zwei Töchter. Sie waren wunderschön und sein ganzer Stolz. Das älteste Mädchen hieß Scheherazade, die jüngere Dunjazade.

Scheherazade hatte in ihrem Leben sehr viele Bücher gelesen. Sie kannte die Geschichten aus alten Zeiten und die Legenden von versunkenen Völkern. Im ganzen Land wusste man, was für ein belesenes Mädchen Scheherazade war. Man erzählte über sie, sie habe bestimmt tausend und mehr Bücher gelesen, denn sie wisse alles über Sagen und Dichter. Sie konnte so lebendig erzählen, dass alle, die ihren Worten lauschten, in ihren Bann gerieten und viele Menschen von ihren Geschichten angerührt waren.

Als Scheherazade sah, dass ihr Vater so verzweifelt war, fragte sie ihn: „Ach Vater, was ist mit euch? Ich sehe doch, dass euer Herz traurig ist.“ Da erzählte ihr der Vater, was geschehen war.

Scheherazade aber sagte: „Oh, Vater, was da geschieht, ist wirklich schrecklich. Dieses Morden muss ein Ende haben. Ich bitte dich, bringe mich zum König.“ „Allah bewahre dich!“, rief der Wesir. „Setze dich nicht so einer großen Gefahr aus!“ Und er flehte sie unter Tränen an, nicht zum König zu gehen. Aber Scheherazade hatte einen Plan geschmiedet und ließ sich von ihrem Wunsch, zum König gebracht zu werden, nicht abbringen.

Der Wesir war beeindruckt von der Ruhe und Kraft, die von dem Mädchen ausging. Ängstlich und schwankend zwischen Furcht und Hoffnung stieg er zum Palast des Königs hinauf. Dort warf er sich vor dem König auf die Knie. „Oh König, wenn es sein muss, bringe ich euch morgen meine Tochter“, sagte er und dabei hatte er Mühe, nicht in Tränen auszubrechen.

In dieser Zeit redete Scheherazade mit ihrer Schwester. „Wenn ich beim König bin, lasse ich dich holen. Dann sollst du zu mir sagen: `Liebe Schwester, erzähle doch eine von deinen wunderbaren Geschichten, damit der Abend für den König schön und angenehm verläuft.` Dann werde ich anfangen, Geschichten zu erzählen. Und, bei Allah, wenn sie ihm gefallen, werden sie uns befreien und sie werden den König von dem blutrünstigen Morden abbringen.“

Dann kam ihr Vater um sie zu holen und brachte sie zu dem König Schahrirar. Als sich der König neben sie setzte, seufzte Scheherazade tief. Da fragte der König: „Was ist mit dir?“ Scheherazade erwiderte: „Oh, mein Gebieter, ich habe eine jüngere Schwester, die ich sehr liebe und die sich große Sorgen um mich macht. Ich möchte mich so gerne von ihr verabschieden.“

Da ließ der König die Schwester holen. Sie kam und setzte sich zu den Füßen des Königs. Als das Gespräch ins Stocken geriet, sagte sie zu Scheherazade: „ Liebe Schwester, erzähle uns doch eine von deinen berühmten Geschichten, die im ganzen Land gehört werden.“ „Aber gerne“, erwiderte Scheherazade. „Wenn der große König es erlaubt.“

„Fang an!“, sprach der König. Er war unruhig und fand sowieso in den Nächten keinen Schlaf mehr. Es gefiel ihm, Geschichten zu hören und er war gespannt, was das Mädchen zu erzählen hatte. Scheherazade freute sich.

Und dann begann sie zu erzählen. Der König hörte ihr zu. Die Nacht verging und Scheherazade erzählte immer noch. Da kam der Morgen und die Vögel begannen zu singen. Als Scheherazade merkte, dass der Tag gekommen war, hielt sie inne. Doch ihre kleine Schwester sprach: „Oh Schwester, wer deinen Geschichten lauscht, gerät in einen Zauberbann.“

Da erwiderte Scheherazade: “Ach, das ist nichts. Ich könnte in der nächsten Nacht noch viel schönere Geschichten erzählen. Jedenfalls, wenn ich noch am Leben wäre…“ `Bei Allah, ich will sie nicht töten lassen, bevor ich nicht noch mehr Geschichten von ihr gehört habe´, dachte der König bei sich.

Dann ging er in sein Arbeitszimmer, wo der Staatsrat auf ihn wartete. Da sah er den Großwesir herkommen. Er trug ein Leichentuch unter dem Arm, das für seine Tochter bestimmt war. Doch der König achtete nicht auf ihn, sondern vertiefte sich in seine Staatsgeschäfte. Das tat er bis zum Ende des Tages, ohne mit dem Wesir auch nur ein Wort zu reden.

Als der Staatsrat gegangen war, kehrte der König in seinen Palast zurück. Dann brach die zweite Nacht heran. Der König schickte Dunjazade fort und wandte sich Scheherazade zu. „Erzähle weiter!“, sagte er ein bisschen verlegen, denn es war ihm peinlich, dass er so einen Spaß an diesen Geschichten hatte. Und Scheherazade erzählte weiter.

Das alles geschah in tausend Nächten und noch einer Nacht. Scheherazade erzählte unendlich viele schöne Geschichten. Die schönsten davon sind in diesem Buch aufgeschrieben. Sie begann mit einer alten Legende. Das war die Geschichte von dem Fischer, der eine Flasche fand.