Sindbad der Seefahrer

  • Autor: Dumas, Alexander

Anfang des Jahres 1838 befanden sich in Florenz zwei junge Leute, die der elegantesten Gesellschaft von Paris angehörten. Der eine war der Vicomte Albert von Morcerf, der andere der Baron Franz d'Epinay. Sie hatten vereinbart, den Karneval dieses Jahr in Rom zu verbringen. Franz, der seit fast vier Jahren in Italien lebte, wollte für Albert den Fremdenführer spielen.

Da noch Zeit war, fuhr Albert weiter nach Neapel, während Franz sich mit einem Schiff Richtung Elba aufmachte. Er wollte auf Rothuhnjagd gehen. Doch die Jagd ging schlecht und der Kapitän des Schiffes schlug ihm eine Insel vor, auf der es wilde Ziegen zu jagen gab.

"Nun, was ist das für eine Insel", fragte Franz.

"Die Insel Monte Christo."

"Also vorwärts nach Monte Christo", rief Franz.

Um diese Insel rankten sich mehr und mehr Märchen von Klabautermännern und mächtigen Wassergeistern. In den Häfen wurde sogar gemunkelt, dass Sindbad, der sagenhafte Seefahrer, von Zeit zu Zeit auf ihr weilte. Er bewohne dort eine Grotte, die so prächtig ausgestattet sei, dass es jede menschliche Vorstellung übersteige.

Also nun Franz das Ufer der Insel erreichte brannte dort ein Feuer, um das Wachen saßen. Der Kapitän ging auf sie zu und verschwand für einige Zeit. Als er zurückkam meinte er zu Franz: "Der Anführer, dem man gesagt hat, Sie wären ein junger französischer Edelmann, lädt Sie zum Abendessen zu sich ein."

"Ihr kennt diesen Anführer?", fragte Franz.

"Ich habe von ihm gehört. Allerdings stellt er eine Bedingung."

"Und wie heißt diese Bedingung?"

"Sie sollen sich die Augen verbinden lassen. Hören Sie, ich weiß nicht, ob es stimmt, was man sagt. Dieser Anführer besitze einen unterirdischen Palast, der unvergleichlich schön sei."

"Welch ein Traum! Dort wird er mich empfangen?"

Franz wurden die Augen verbunden und zwei Wachen führten ihn ins Innere des Berges. Als seine Füße auf weichen Teppich traten, verließen sie ihn. Nach kurzen Schweigen sagte eine Stimme: "Sie sind mir willkommen, mein Herr, und können die Binde abnehmen."

Franz tat dies sofort und stand einem etwa vierzig Jahre alten, arabisch gekleideten Mann gegenüber. Es war kein anderer, als Edmond Dantes - Sindbad der Seefahrer.

Der junge Franzose war überwältigt vom Anblick der Grotte. Nie zuvor hatte er derartigen Prunk zu Gesicht bekommen. Sein Gastgeber bewirtete ihn königlich und Franz genoss den Abend mit diesem hoch gebildeten Herrn. Am Ende des Mahles brachte ein Diener ein Gefäß in dem sich Haschisch befand. Franz war neugierig und kostete einen Teelöffel davon.

Als er wieder erwachte, lag er inmitten duftendem Heidekraut an der frischen Luft. Alles Vergangene erschien ihm wie ein Traum und doch wollte er schwören diesen sagenumwobenen Sindbad getroffen zu haben.

Nur wenige Tage später traf Franz seinen Freund, den Vicomte Albert von Morcerf in Rom. Die beiden jungen Männer genossen den Reichtum ihrer Eltern. Ganz Rom war ein Maskentreiben. Alle Straßen und Plätze erfüllt von musikalischen Darbietungen und blutjungen Baronessen, die ihnen den Kopf verdrehten.

Doch ein schauerliches Ereignis vollzog sich am ersten Tag des Karnevals. Die jungen Männer wurden Zeugen einer öffentlichen Hinrichtung. Dort machten sie die Bekanntschaft des geheimnisvollen Grafen von Monte Christo, der mit kaltem Blick die Szene verfolgte. Franz raunte seinem Freund zu: "Albert, ich sage dir, diesen Mann kenne ich. Dieser Graf ist Sindbad der Seefahrer, der auf der feenhaften Insel von Monte Christo lebt. Diese Augen werde ich nie vergessen."

"Ach, er wird nur ein schrulliger Engländer sein. Nichts weiter. Lass und Karneval feiern", erwiderte Albert achselzuckend.

Im Laufe der Nacht verloren sich die beiden jungen Franzosen aus den Augen. Als Franz am nächsten Morgen zum Gasthof zurückkehrte, drückte ihm ein Unbekannter einen Brief in die Hand. Darin bat ihn sein Freund Albert, 4000 Piaster aufzutreiben. Unter diesen Zeilen stand mit fremder Handschrift: Wenn am nächsten Morgen um sechs Uhr die viertausend Piaster nicht in meinen Händen sind, so hat Graf Albert zu leben aufgehört. Luigi Vampa.

Dieser Luigi Vampa war ein berüchtigter Räuber, der mit seiner Bande in Rom und Umgebung sein Unwesen trieb. Franz konnte allerdings diese Hohe Summe nicht auftreiben. Da fiel ihm der Graf von Monte Christo ein, der, wie es der Zufall wollte, das Zimmer neben ihnen bewohnte.

Noch in der Nacht fuhren die beiden Männer zu den Banditen. Dort genügte ein kurzes Gespräch zwischen Vampa und dem Grafen und Albert wurde frei gelassen.

"Graf, nie werde ich vergessen, wie Sie mir das Leben gerettet haben. Wie kann ich Ihnen danken?", sagte Albert, als er auf den Grafen zuging.

"Es ist meine Absicht, Sie um einen großen Dienst zu bitten. Ich bin nie in Paris gewesen. Wären Sie bereit mich in Paris einzuführen?"

"Oh, das wäre mir ein große Freunde, lieber Graf. Wenn Sie nach Paris kommen, werden Sie mich als verheirateten Mann oder vielleicht gar als Familienvater wieder finden."

Der Graf zog seinen Kalender heraus und vereinbarte einen Termin für den 21. Mai um elf Uhr morgens - in drei Monaten. "So wünsche ich Ihnen beiden noch eine glückliche Reise", beendet der Graf von Monte Christo das Gespräch.

Franz berührte zum ersten Mal die Hand dieses Mannes und erschrak. Sie war eisig, wie die eines Toten.