Janusz Korczak "Vater der Kinderrechte"

In Polen gibt es viele Legenden, und wie so manche Legende, ist diese Legende wahr. In Warschau lebte einmal ein Junge, der hieß Henryk Goldszmit. Henryk saß oft am Fenster und schaute verträumt, wie die Kinder draußen spielten. Als Muttersöhnchen war er oft einsam und durfte nicht mit den Straßenkindern draußen spielen.

Manchmal träumte er davon, dass der König ihn herbeikommen lässt und ihm den Auftrag gibt, dafür zu sorgen, dass es alle armen und zerlumpten Kinder gut haben. Weiter würde er gerechtere Gesetze schaffen, damit die Ungerechtigkeit ein für alle Mal aus der Welt verschwindet. Seinen Plan wollte er dadurch in die Tat umsetzen, dass er einfach alles Geld auf der Welt abschaffen würde. Nach dieser Heldentat hatte er vor nach Afrika zu reisen, um Schwarze und Weiße zu vereinen. Auf dieser Reise würde er auch die Prinzessin Klu-Klu kennen lernen.

Oft erzählte er seiner Großmutter von seinen Heldentaten und Tagträumen. Sie gab ihm Rosinen, streichelte ihm über das Haar und nannten ihn „mein kleiner Philosoph“. Henryk schrieb gerne Geschichten und eines Tages, das war 1899, nahm er an einem Wettbewerb teil. Er wusste aber, dass er mit seinem Namen keine Chancen hatte. Goldszmit, so kann nur ein Jude heißen, das wusste doch jeder in Polen! Er schickte deshalb ein Theaterstück unter dem Namen Janusz Korczak ein und gewann. Dieses Pseudonym behielt er den Rest seines Lebens bei.

Als angesehener Arzt und Schriftsteller schien seine Zukunft gesichert zu sein, er aber wählte einen mühenvolleren Weg. Als Kinderarzt besuchte er reiche Familien, die ihn gut bezahlten. Mit diesem Geld kaufte er Medizin für die Kinder der armen Leute. Gleichzeitig arbeitete er in einem Kinderkrankenhaus im Warschauer Armenviertel und schrieb wütende Zeitungsartikel über die schrecklichen Verhältnisse, unter denen die Armen damals leben mussten.

1911 eröffnete er das jüdische Waisenhaus in Warschau. Dort gab es Platz für Waisen und kriminelle Kinder. Die Kinder sollten dort in anständigen Verhältnissen aufwachsen. Es gab saubere Kleider, Essen und ein Bett zum Schlafen. Das Waisenhaus wurde von den Kindern selber verwaltet. Es gab ein Kinderparlament und ein Kameradschaftsgericht, in dem Kinder richten durften. Man konnte zu verschiedenen „Entschuldigungs-Strafen“ verurteilt werden. Alle Kinder mussten an der gemeinsamen Arbeit im Waisenhaus teilnehmen. Die Älteren hatten die Verantwortung für die Jüngeren.

Auch heute noch werden Kinder von vielen Erwachsenen nur als 'Noch-nicht-Erwachsene' gesehen. Dagegen protestierte Janusz Korczak - er meinte, dass Kinder eigenständige Personen und nicht nur Anhängsel der Erwachsenen seien. „Kinder werden nicht erst zu Menschen, sie sind es schon!“ Kindern fehlt nur eines: Erfahrung. Deshalb sollen Erwachsene Kinder an dieser Erfahrung teilnehmen lassen und ihnen den Weg zeigen. Janusz Korczak sagte, dass die Welt in zwei Klassen geteilt sei: In Erwachsene und in Kinder. Zwischen beiden herrscht ein Kampf, ein unfairer Kampf, denn Kinder sind nicht so stark wie Erwachsene.

In diesem ungleichen Kampf gab er den Kindern als erster Erwachsener eine Stimme. 1919 forderte er die Erwachsenen auf, Voraussetzungen zu schaffen, dass Kinder frei und ohne Gewalt aufwachsen können. Janusz Korczak wusste aber, dass die Erwachsenen nicht freiwillig auf das Recht der Stärkeren verzichten würden und deshalb schrieb er das Grundrecht für Kinder. Als Anwalt der Kinder verlangte er vor allen Dingen das Recht auf Achtung. Erst 70 Jahre später wurde sein Traum verwirklicht, als die UN-Vollversammlung 1989 die UN-Konvention über die Rechte der Kinder verabschiedete.

Nachdem die Nazis in Polen einmarschierten, wurden Korczak und seine Kinder gezwungen, das Waisenhaus zu verlassen und in das „Warschauer Ghetto“, das außerhalb der Stadt lag, umzusiedeln. Freunde versuchten ihn zum Fliehen zu überreden, alles war schon geplant. Es gab einen Pass, ein Visum, Fahrkarten... aber umsonst. Korczak weigerte sich, seine Kinder zu verlassen.

An einem Augustmorgen hörte man plötzlich laute Schreie im Ghetto „Alle Juden raus!“ In einem geordneten Zug marschierten an die 200 kranke und verlauste Waisenkinder aus dem verfallenen Ghetto heraus. An der Spitze des traurigen Zuges ging Janusz Korczak mit dem kleinsten Kind auf dem Arm. Neben ihm marschierte ein Junge mit der Standarte des Waisenhauses, dem vierblättrigen Kleeblatt. Als sie zum „Umschlagplatz“ kamen, warteten schon die leeren Waggons, die sie dann weiter nach Treblinka in die Gaskammer transportieren sollten.

Das ist die wahre Legende von Janusz Korczak, einem außergewöhnlichen Mann. Mit seiner Vorstellung von einem respektvollen, gerechten und liebevollen Umgang mit Kindern legte er den Grundstein für die heutigen Kinderechte.