Der Sohn des Fischers

Es war einmal ein alter Fischer, der ging mit seinem Sohn zum großen Fluss hinaus. Dort warfen sie zusammen ein Fischernetz aus. Es war ein guter Tag, und schon bald konnten sie das Netz mit lauter Fischen ans Ufer ziehen. Der Fischer war zufrieden und betrachtete seinen Fang. Darunter war auch ein besonderer Fisch, der wunderschön rot wie die Abendsonne leuchtete. Da sprach der Fischer zu seinem Sohn: "Ich gehe jetzt heim und hole den Karren zum Aufladen. Du aber musst hier aufpassen, dass hier nichts passiert. Und lass den roten Fisch nicht aus den Augen!"

Als der Vater dann gegangen war, konnte der Sohn des Fischers seine Neugierde nicht zähmen und nahm den roten Fisch in die Hand. Er streichelte den Fisch ganz zart und sprach: "Es ist herzlos, so einen schönen Fisch zu töten. Lieber will ich ihm die Freiheit schenken." Er sprach es und warf den Fisch zurück ins Wasser.

Der Fisch aber schwamm zum Ufer zurück und sprach: "Du warst gut zu mir. Dafür werde ich dir eine Gräte aus meiner Flosse schenken. Wenn du einmal in Not bist, dann komm mit der Gräte zum Ufer zurück und rufe meinen Namen. Ich werde dann gleich bei dir sein und dir bestimmt auch helfen." Der Junge nahm die Gräte und steckte sie in seine Tasche. Der Fisch aber sprang lustig aus dem Wasser und schoss in die Tiefe.

Der Vater war sehr zornig, als er merkte, was sein Sohn getan hatte. Er fluchte laut und schrie: "Hol dich der Kuckuck, und komm mir nicht mehr unter die Augen!"

Da wanderte der Fischersohn traurig davon. Am nächsten Tag sah er plötzlich einen Hirsch auf sich zulaufen.

§5

Alle Kinder haben das Recht, dass ihre Eltern für sie sorgen!
Alle Eltern sollen ihre Kinder so betreuen, dass die Kinderrechte nicht verletzt werden. Die Eltern stehen ihren Kindern mit Rat und Tat zur Seite, wenn es darum geht, die eigenen Stärken und Schwächen kennen zu lernen. Der zornige Fischer betreut seinen Sohn nicht so, wie es die Konvention von ihm erwarten würde.

Das Tier sah schon ganz erschöpft aus, denn die Jäger mit ihren Hunden waren schon lange auf seiner Fährte. Das tat dem Jungen sehr leid. Mutig lief er dem Hirsch entgegen und packte ihn am Geweih. Dann rief den Jägern zu, sie sollten sich zurückhalten. Der Hirsch sei doch ganz zahm, und für die Jäger eine viel zu leichte Beute. Da schämten sich die Jäger sehr und machten sich mit roten Köpfen davon. Der Hirsch aber sprach zu dem Jungen: "Du hast mich beschützt. Dafür gebe ich dir ein Haar aus meinem Fell. Wenn du mal nicht weiter weißt, nimm das Haar und rufe mich beim Namen. Ich werde kommen und dir helfen." Der Junge nahm das Haar, steckte es in die Tasche und ging seiner Wege.

Am anderen Tag sah er dann einen Kranich am Himmel, dem ein Adler folgte. Der Junge wollte dem Kranich helfen und schleuderte einen Stock nach dem Adler. Dieser bekam einen fürchterlichen Schreck, und flog schreiend davon. Da landete der müde Kranich vor den Füßen des Jungen und sprach: "Du hast mir das Leben gerettet. Dafür möchte ich dir eine Feder schenken. Wenn du meine Hilfe brauchst, dann nimm die Feder und rufe meinen Namen. Ich werde für dich da sein." Der Junge steckte die Feder in die Tasche und ging weiter.

Noch am selben Abend sah er plötzlich drei Windhunde auf einem Feld, die einen Fuchs vor sich herjagten. In seiner Not lief der Fuchs geradewegs auf den Jungen zu, und der versteckte ihn geschwind unter seine Jacke. Die Windhunde aber trauten sich nicht an den Fremdling heran und trotteten mit hängenden Köpfen weiter. Als die Windhunde dann verschwunden waren, ließ der Junge den Fuchs wieder laufen. Dieser sprach: "Du bist meine Rettung gewesen. Dafür schenke ich dir ein weißes Haar aus meinem Barte. Wenn ich dir helfen soll, dann nimm das Haar und rufe meinen Namen. Ich werde sicher kommen." Der Junge steckte das Haar in die Tasche und machte sich wieder auf den Weg.

Am dritten Tag sah er dann das Schloss, in dem ein wunderschönes Mädchen wohnen sollte. Die Leute sagten, das Mädchen wolle nur denjenigen heiraten, der sich so verstecken kann, dass sie ihn nicht findet. Davon ließ sich der Fischersohn aber nicht abhalten. Voller Neugier ging er zum Schloss und verlangte das Mädchen zu sehen. "Warum bist du gekommen?", fragte sie ihn. Der Junge antwortete: "Du bist ein schönes Mädchen, und ich möchte dich wohl heiraten." "Du gefällst mir auch", sprach das Mädchen, "aber hier ist meine Bedingung: Wenn du dich so verstecken kannst, dass ich dich nicht finde, werde ich gerne deine Frau. Wenn es dir aber nicht gelingt, dann wartet auf dich der Galgen." "Das ist ein großes Wagnis", erwiderte der Junge, "gib mir also vier Versuche." Das Mädchen willigte ein.

Der Junge ging zum Schloss hinaus, an den nahe gelegenen Fluss. Er holte seine Gräte heraus und rief den roten Fisch. Der sprang sogleich aus dem Wasser und fragte: "Was ist denn los, mein lieber Freund?" Da sagte der Junge es ihm. Der Fisch nahm den Jungen auf seinen Rücken und tauchte mit ihm bis zum Grund des Flusses, um ihn zu verbergen. Das Mädchen aber suchte überall, bis sie ihn endlich im tiefen Wasser bei dem leuchtenden Fisch erblickte. "Was muss das für ein Teufelskerl sein!", dachte sie und machte sich davon.

Am nächsten Tag kam der Junge stolz zum Schloss zurück und glaubte gesiegt zu haben. "Oh, du Einfaltspinsel!", rief das Mädchen. Ich habe dich doch mit dem roten Fisch am Grunde des Flusses gesehen." "Teufel noch mal", dachte sich der Junge, "wie hat sie das gemacht?"

Der Junge verließ wieder das Schloss, nahm das Haar des Hirsches und rief ihn herbei. Der kam auch wie ein Wirbelwind und fragte: "Was hast du auf dem Herzen?" Der Junge erzählte es ihm. Da nahm der Hirsch ihn auf seinen Rücken und lief geschwind davon. Am siebten Berge hielt er an, versteckte den Jungen in einer Höhle und legte sich müde vor den Eingang. Das Mädchen aber suchte Land auf, Land ab und fand das Versteck nur mit großer Mühe.

Am folgenden Tag kam der Junge wieder fröhlich zum Schloss. "Was für ein Narr du doch bist", sprach das Mädchen. "Ich habe den müden Hirsch wohl gesehen, der vor deinem Verstecke lag." Der Junge zuckte sprachlos mit den Schultern und machte sich wieder von dannen.

Auf einer Wiese holte er die Feder des Kranichs aus seiner Tasche und rief ihn herbei. Gleich kam dieser angeflogen und fragte: "Was gibt es, mein guter Freund?" Der Junge erzählte es ihm. Da nahm der Kranich den Jungen auf den Rücken und flog mit ihm zum Himmel empor, wo sie den ganzen Tag über kreisten. Das Mädchen suchte in allen Ecken und Winkeln, und konnte doch nichts finden. Ratlos schaute sie zum Himmel und musste plötzlich lachen.

Am nächsten Tag kam der Junge wieder gut gelaunt ins Schloss, doch das Mädchen sprach zu ihm: "Du musst dir schon was Besseres einfallen lassen, als mit dem Kranich zu fliegen. Ich habe es wohl gesehen." Der Junge wurde ganz blass im Gesicht, denn jetzt blieb ihm nur noch ein letzter Versuch.

Er verließ das Schloss, holte das Fuchshaar aus seiner Tasche und rief ihn herbei. Der Fuchs kam auch gleich fröhlich angesprungen und fragte: "Womit kann ich dir dienen?" Da erklärte es ihm der Junge. "Vertraue mir", sagte der Fuchs, "und verlange von dem Mädchen zwei Wochen Aufschub."

In dieser Zeit grub sich der Fuchs einen Gang unter das Schloss. Dieser Gang endete genau unter dem Teppich, auf dem das Mädchen so gerne saß. Dort versteckte der Fuchs den Jungen, als die Frist verstrichen war. Das Mädchen suchte wieder überall, doch dieses Mal war der Junge nicht zu finden. Müde ließ sich das Mädchen auf ihren Lieblingsteppich fallen und rief: "Wo bist du nur, du Teufelskerl? Hat dich die Erde verschluckt?" Da bewegte sich der Boden unter dem Teppich und der Junge kroch aus seinem Versteck hervor. Er hatte gesiegt, und das schöne Mädchen wurde nun gerne seine Frau.