Die Hütte

  • Autor: Stevenson, Robert Louis

In einer der nächsten Nächte kam ein Mann von Mister Riachs Wache herunter, um seine Jacke zu holen. Sogleich erhob sich ein Geflüster auf dem Vorderdeck: "Shuan hat ihm den Rest gegeben." Es brauchte kein Name genannt zu werden. Alle wussten auch so, wer gemeint war. Da ging die Luke wieder auf, und Mister Hoseason kam die Leiter herab. Er kam geradewegs auf mich zu und sprach mich zu meiner Überraschung in freundlichem Ton an:

"Junge", sagte er, "wir hätten gern, dass du uns in der Hütte bedienst. Du kannst mit Ransome das Bett tauschen. Rasch, lauf nach hinten!"

Noch während er redete, erschienen zwei Leute mit Ransome auf den Armen. Sein Gesicht war weiß wie Wachs und zeigte so etwas wie ein grausiges Lächeln. Mein Blut erstarrte zu Eis, und mein Atem stand still. Ransome rührte sich nicht und sprach kein Wort.

"Los! Nach hinten mit dir! Lauf!", rief Hoseason.

Ich drückte mich an den Matrosen und dem Jungen vorbei und eilte die Leiter hinauf an Deck. Später erfuhr ich, dass wir nun auf hoher See waren, zwischen den Orkney- und den Shetland-Inseln. Ich lief über das Deck, immer nach einem Tau haschend, um von den Sturzseen nicht weggespült zu werden. Nur die Hilfe eines Matrosen, der schon immer freundlich zu mir gewesen war, bewahrte mich davor, dass ich über Bord ging.

Die Hütte, wo ich nun schlafen und bedienen sollte, stand auf dem Deck, etwa sechs Fuß hoch und recht geräumig. Innen waren ein befestigter Tisch und eine ebensolche Bank, dazu zwei Bettkojen, eine für den Kapitän, die andere für die beiden Offiziere zum abwechselnden Gebrauch. Überall waren Schränke angebracht, die vom Boden bis zur Decke reichten. Darin waren die Sachen der Offiziere und ein Teil der Schiffsvorräte verstaut.

Ein zweiter Vorratsraum befand sich darunter, den man durch eine Luke in der Mitte des Bodens betrat. In ihm waren das Beste von Speisen und Getränken sowie alles Pulver des Schiffes untergebracht. Alle Feuerwaffen außer zwei Bronzegeschützen lagen auf einem Gestell an der hintersten Wand der Hütte, während die meisten Entermesser anderswo waren.

Ein kleines Fenster und ein Fenster im Dach ließen Licht herein. Wurde es dunkel, so brannte stets eine Lampe. Als ich eintrat, sah ich in ihrem Licht Mister Shuan, der am Tisch saß, die Branntweinflasche und einen Zinnbecher vor sich. Er starrte auf den Tisch.

Von meinem Kommen und auch von der Anwesenheit des Kapitäns nahm er in keiner Weise Kenntnis Ich fürchtete mich vor Hoseason, wozu ich ja allen Grund hatte, doch etwas sagte mir, dass ich in diesem Augenblick keine Angst vor ihm haben musste.

Gleich darauf kam Mister Riach. Er warf dem Kapitän einen Blick zu, der so klar wie ein gesprochenes Wort ausdrückte: Der Junge ist tot! Er stellte sich zu uns, und wir blickten alle drei auf Mister Shuan, der noch immer wortlos und starr auf den Tisch blickte. Plötzlich streckte er die Hand nach der Flasche aus, aber Mister Riach trat sofort vor und entriss sie ihm. Er stieß dazu einen Fluch aus und rief: "Viel zu viel hat dieses Zeug schon angerichtet! Die Strafe des Himmels wird über das Schiff kommen!" Dann schleuderte er die Flasche durch die offene Tür ins Meer.

Im Nu war jetzt Mister Shuan auf den Beinen. Er sah noch etwas verwirrt aus und hätte wohl in dieser Nacht zum zweiten Mal gemordet, hätte sich nicht der Kapitän dazwischen gedrängt.

"Hinsetzen, du besoffenes Schwein!", brüllte der Kapitän. "Weißt du, was du getan hast? Ermordet hast du den Jungen!"

Mister Shuan schien es zu verstehen. Er fiel auf seinen Sitz zurück, hob die Hand an die Stirn und sagte: "Ja, der Kerl hat mir einen dreckigen Becher gebracht."

Der Kapitän, Mister Riach und ich sahen einander an. Wir waren wie vor den Kopf geschlagen. Dann fasste Hoseason seinen ersten Offizier an den Schultern und schob ihn in seine Koje, wo er schlafen sollte. Nun schrie Mister Riach mit fürchterlicher Stimme: "Längst hättet Ihr dazwischenfahren müssen! Schon längst! Jetzt ist es zu spät!"

"Riach", wandte sich der Kapitän ihm zu, "was in dieser Nacht geschehen ist, darf unter keinen Umständen bekannt werden in Dysart! Der Junge ist über Bord gegangen, so lautet die Geschichte! Fünf Pfund aus meiner eigenen Tasche würde ich zahlen, wenn es wahr wäre!" Dann sagte er zu mir: "David, hol mir eine neue Flasche. Sie sind im untersten Schrank." Er warf mir einen Schlüssel zu. "Euch wird ein Glas auch nicht schaden!", fügte er zu Riach gewandt hinzu. "Es war doch ein scheußlicher Anblick!" So setzten sich die beiden hin und schwatzten.

Das war die erste Nacht, in der ich meine neuen Pflichten erfüllte, und schon am nächsten Tag hatte ich mich gut in meine Arbeit gefunden. Ich musste bei den Mahlzeiten bedienen, die der Kapitän zu ganz regelmäßigen Zeiten mit dem Offizier einnahm, der gerade keinen Dienst hatte. Den ganzen Tag über hatte ich ihnen Schnaps zu bringen. Nachts schlief ich auf einer Decke auf dem Boden der Hütte, ganz in einer Ecke. Das war hart und kalt. Dazu kam, dass sie mich nicht ohne Unterbrechung schlafen ließen. Immer wieder verlangten sie Schnaps, und manchmal brauten sie sich einen Punsch.

In anderer Hinsicht war mein Dienst nicht schwer. Tischdecken gab es nicht. Die Mahlzeiten bestanden aus Hafergrütze und Pökelfleisch. Zweimal in der Woche gab es Mehlbrei, und der Kapitän und Mister Riach waren erstaunlich geduldig mit mir, wenn ich noch etwas unbeholfen war, ja manchmal sogar mit allem, was ich trug, hinstürzte. Ich nahm an, dass sie wegen Ransome ein schlechtes Gewissen hatten.

Mister Shuan gewöhnte sich nie an meine Anwesenheit. Er starrte mich ständig an, manchmal wie schreckerfüllt. Wenn ich ihn bediente, fuhr er vor meiner Hand zurück. Ich glaubte, dass seine Sinne gestört waren und dass ihm nicht klar war, was er getan hatte. Den Beweis dafür, dass es wirklich so war, erhielt ich schon an meinem zweiten Tag in der Hütte. Wir waren allein, und er hatte längere Zeit zu mir gestarrt. Da stand er plötzlich totenbleich auf und trat dicht an mich heran. Ich erschrak bis ins Innerste, aber es gab keinen Grund, sich vor ihm zu fürchten.

"Du warst früher nicht hier?", fragte er.

"Nein, Sir", erwiderte ich.

"Ein anderer Junge war hier, nicht?", fragte er weiter.

Als ich das bejahte, meinte er: "Ah, das dachte ich mir." Dann ging er, setzte sich wieder, sprach kein Wort mehr; nur nach Schnaps verlangte er.

Seltsamerweise hatte ich Mitleid mit ihm. Er war verheiratet, und ich hoffte, dass er keine Kinder hätte.

Zu dieser Zeit war mein Leben nicht sehr schwer. Ich bekam das beste Essen, das es an Bord gab, und wenn ich gewollt hätte, hätte ich von früh bis abends betrunken sein können. Mister Riach, der auf der Universität gewesen war, sprach zu mir wie ein Freund, wenn er nicht gerade schlechter Laune war. Er erzählte mir viele seltsame, aber auch wissenswerte Dinge. Sogar der Kapitän erzählte mir manchmal von den schönen Ländern, die er besucht hatte.

Gedanken machte ich mir über meine Zukunft. Ich sah nichts anderes vor mir als Sklavenarbeit unter Negern auf Tabakfeldern. Die Tage kamen und gingen, und mein Mut sank immer tiefer.