Die Brigg geht verloren

  • Autor: Stevenson, Robert Louis

Es war schon spät in der ziemlich hellen Nacht, als Hoseason seinen Kopf durch die Tür der Hütte steckte. "Los", sagte er, "kommt raus und versucht, ob Ihr uns steuern könnt. Mein Schiff ist in Gefahr!"

Sein Gesicht zeigte einen tief beunruhigten Ausdruck und sein Ton war erschreckend. Uns war beiden klar, dass dies tödlicher Ernst war. Deshalb traten wir ohne allzu große Angst vor Verrat aufs Deck hinaus.

Der Himmel war klar, und der fast volle Mond schien hell. Scharf und kalt blies der Wind. Die Brigg lag hart am Wind und umrundete jetzt die Südwestspitze der Insel Mull Ich fand die Nacht nicht so übel zum Segeln und wunderte mich, was den Kapitän so bedrückte.

Da hob sich die Brigg plötzlich auf den Kamm einer hohen Welle, und Hoseason wies mit der Hand hinaus. Aus dem vom Mond beleuchteten Gewässer stieg leeseits etwas wie ein Springquell empor. Unmittelbar darauf hörten wir dumpfes Brausen.

"Und", fragte der Kapitän mit düsterem Blick, "was ist das?"

"Die See, die sich an einem Riff bricht", entgegnete Alan. "Nun wisst Ihr, woher die Gefahr droht!"

Kaum hatte er gesprochen, da sahen wir einen zweiten Springquell weiter im Süden aufsteigen. "Da", rief Hoseason, "seht selbst! Hätte ich von diesen Riffen gewusst, hätte ich eine Seekarte gehabt oder wäre Shuan noch am Leben, keine sechzig Guineen hätten mich bewogen, mein Schiff in ein solches Felsengewirr zu steuern! Und Ihr, Sir, Ihr wolltet uns doch lotsen! Habt Ihr gar nichts zu sagen?"

"Ich denke mir", sagte Alan, "das werden die Torran-Felsen sein. Ich glaube mich zu erinnern, dass sie sich etwa zehn Meilen lang hinziehen. Irgendwie erinnere ich mich, dass die Fahrt an der Küste entlang frei ist."

Riach und der Kapitän sahen einander an. "Da müssen wir unseren Kurs ändern, Mister Riach, und so nah an die Spitze von Mull heran wie möglich. Da wir jetzt sowieso im Schlamassel sind, können wir ebenso gut vor wie zurück."

Damit gab er dem Steuermann seine Befehle. Nur fünf Mann waren an Deck. Das waren alle, die noch zur Arbeit taugten. Davon waren zwei verletzt. Das war auch der Grund, warum Riach in den Mastkorb musste. Er spähte nach vorn und rief herunter, was er sah. "Nach Süden zu liegt Nebel über der See", schrie er. "Zum Land hin scheint's klarer."

"Nun, Sir", sagte Hoseason zu Alan, "wir wollen versuchen, uns nach Euren Angaben zu richten. Aber ich glaube, wir könnten uns ebenso gut einem Blinden anvertrauen!"

Als wir näher an die Landspitze gelangten, war unser Weg förmlich mit Riffen übersät. Ab und zu rief Riach herunter, wir sollten den Kurs ändern. Manchmal war das höchste Zeit, denn ein Riff war so dicht an einer Seite der Brigg, dass die Gischt auf Deck spritzte und uns wie Regen durchnässte. Während dieser Manöver merkte ich, dass Hoseason und der Steuermann ihr Fach verstanden.

Alan dagegen war kreideweiß. "O weh, David", meinte er "das ist kein Tod nach meinem Herzen."

Als wir nah an Mull herangekommen waren, brandete die Strömung heftig und warf die Brigg fortwährend herum. Es mussten zwei Leute ans Ruder, und zuweilen half noch Hoseason mit. Dann legten sich drei kräftige Männer mit vollem Gewicht gegen das Steuer und dennoch drängte es sie zurück. Dass hätte vielleicht allergrößte Gefahr bedeutet, aber die See war für einige Zeit frei von Hindernissen, und Riach schrie von oben, er sehe freies Gewässer vor uns.

"Ihr habt recht gehabt!", sagte Hoseason zu Alan. "Ihr habt das Schiff vor dem Untergang bewahrt. Ich werde das nicht vergessen, wenn wir abrechnen." Ich glaube, er meinte es ehrlich, denn sein Herz hing leidenschaftlich an der ‚Covenant'.

Da tönte es von oben: "Einen Strich abfallen! Riff in Luv!"

Im selben Augenblick schon fasste die Strömung die Brigg und nahm uns dadurch den Wind aus den Segeln. Wie ein Brummkreisel drehte sie sich im Wind, und gleich darauf krachte sie mit einer Heftigkeit auf das Riff, dass wir alle auf das Deck stürzten und Mister Riach beinahe von seinem Platz auf dem Vordermast heruntergeschüttelt worden wäre.

Das Riff, auf das wir gestoßen waren, erhob sich dicht am Südwestende der Insel Mull. Die Dünung stürzte über uns hinweg und ließ die arme Brigg auf dem Riff hin und her scheuern. Dann hörten wir, wie sie in Stücke brach.

Ich bemerkte, wie sich Riach und die Matrosen mit dem Boot zu schaffen machten. Ich lief hin, um ihnen zu helfen. Auch alle Verwundeten, die sich rühren konnten, kamen aus der Luke uns zu Hilfe. Die anderen lagen in ihren Kojen und schrien, wir sollten sie retten.

Der Kapitän nahm nicht teil. Er schien völlig verwirrt. Tag für Tag hatte er mit angesehen, wie Ransome misshandelt wurde, aber nun, als seine Brigg zerbrach, schien er mit ihr zu leiden.

Als wir das Boot fast klar zum Hinablassen hatten, schrie ein Mann plötzlich: "Um Gottes willen, haltet euch fest!" Es folgte eine ungeheure Welle, die die Brigg hoch empor hob und sie dann auf die Seite legte. Als das Schiff kenterte, stürzte ich über die Reling ins Meer.

Ich sank und schluckte fürchterlich Seewasser. Dann tauchte ich wieder auf und versank noch einmal. Als ich das nächste Mal auftauchte, wurde ich unaufhörlich umhergeschleudert und schlug auf irgendetwas auf. Ich schluckte wieder Wasser, und dann verschlang mich die See gänzlich.

Nach einer Weile kam ich in ruhigerem Wasser zu mir. Ich hatte eine Rahe gepackt, auf die ich mich stützen konnte. Aber ich war entsetzt, wie fern von der Brigg ich herumschaukelte. Ich rief, doch sie waren schon längst außer Hörweite. Ich konnte auch nicht sehen, ob sie das Boot zu Wasser gelassen hatten. Nach einer Weile wurde mir klar, dass man im Wasser nicht nur ertrinken, sondern auch erfrieren kann.

Ganz nah sah ich die Küste; sie war so nah, dass ich im Mondlicht die Heidekrautbüsche sehen konnte. Es müsste doch sonderbar zugehen, so dachte ich mir, wenn ich nicht bis dorthin schwimmen könnte. Da ich allerdings die Kunst des Schwimmens nicht beherrschte, legte ich mich mit beiden Armen auf meine Rahe, stieß mit beiden Füßen rückwärts und bewegte mich so vorwärts. Leicht war das nicht, und es ging grauenhaft langsam.

Nach etwa einer Stunde erreichte ich eine sandige Bucht, die von niedrigen Hügeln umgeben war. Schließlich war das Wasser so flach, dass ich tödlich erschöpft an Land waten konnte.